Die meisten von uns waren schon mal bei einem Profiturnier vor Ort. Doch der Ryder Cup ist noch einmal eine ganz andere Welt. Der Ryder Cup hat mit anderen Turniern so viel gemeinsam wie das Fußball-WM-Finale mit einem F-Jugend-Kreisligaspiel (wobei: die Rufe mancher F-Jugend-Eltern in Richtung Schiedsrichter sind tatächlich mit betrunkenen amerikanischen Ryder Cup Fans zu vergleichen).
In diesem Jahr hatte ich nicht nur das Vergnügen zum ersten Mal einem Ryder Cup beizuwohnen, ich durfte es sogar in der priviligierten Position eines Medienvertreters tun und Inside the Ropes dabei sein. Dabei muss man wissen, dass das Ryder Cup für Volunteers, Medien und Gäste der Spieler nicht viel mit dem normalen Fan-Erlebnis zu tun hat. Während die Fans überteuerte Getränkepreise (10 Dollar für ein Bier, 8 Dollar für eine Cola) zahlen müssen, können diese Gruppen kostenlos ihren Wasserhaushalt auffüllen. Während Normalsterbliche frühmorgens aufstehen müssen, um einen guten Platz auf den Tribünen zu bekommen, dürfen die Spielergäste und eine begrenzte Anzahl an Medienvertretern hautnah dabei sein, während die übrigen Journalisten sowie Freiwillige, die dienstfrei haben, extra eingerichteten Tribünen nutzen, die selbst dann noch freie Plätze haben, wenn die Spieler schon am Loch angekommen sind.
Der Donnerstag: Auf Fotosafari
Dies fällt an den Probetagen noch nicht besonders ins Gewicht. Die Masse an Zuschauern ist im Vergleich zu den späteren Tagen noch überschaubar und da die amerikanischen und europäischen Teams von unterschiedlichen Abschlägen starten, verteilen sich die Zuschauer gut auf der Anlage. Insbesondere wer die europäischen Spieler etwas näher sehen wollte, hatte gute Chancen, da das Gros der Fans in Hazeltine verständlicherweise auf die US-Boys fixiert war. Auch die Atmosphäre ist an diesen Tagen deutlich relaxter, wie nicht nur der viral gegangene Putt von Ryder-Cup-Heckler David Johnson beweist.
Vor allen Dingen aber darf man an den Probetagen soviel fotografieren, wie man möchte. Denn Profigolfer reagieren nur an Wettkampftagen auf Kameraauslöser allergisch, in Proberunden irritiert es sie überhaupt nicht in ihrem Schwung. Von Freitag bis Sonntag hingegen gilt ein Fotoverbot innerhalb von 90 Metern zum Spielgeschehen – dessen Einhaltung von der CSI (Camera Spectator Investigation) der PGA auch rigoros eingefordert wird. Immerhin hat man jedoch im Falle von Handy-Videoaufnahmen Nachsicht walten lassen.
Das Spannende ist, dass man tatsächlich bereits von den Proberunden auf die Zusammensetzung der Vierer schließen konnte. Die Spieler waren jeweils in Vierergruppen unterwegs, aber an den Par 3s schlugen beispielsweise nicht immer alle einen Ball vom Tee. So verzichtete Martin Kaymer beispielsweise an der 4 auf seinen Schlag – ein klarer Indikator dafür, dass er am nächsten Morgen in den Foursomes spielen würde und von den ungeraden Tees abschlägt. Dies trat ebenso ein, wie die Paarungen Stenson / Rose oder McIlroy / Sullivan. Von Gamesmanship also keine Spur: es ist nun mal wichtiger, dass die Duos sich miteinander eingrooven, als den Gegner rätseln zu lassen, wer spielen wird.
Der Freitag: Schmetterlinge im Bauch
Auf dem Weg zum Ryder Cup wurde mir ein Ratschlag mit auf den Weg gegeben: “Du musst am ersten Tag unbedingt die Atmosphäre am ersten Abschlag einfangen. So etwas gibt es nicht noch einmal im Golfsport.” Gesagt, getan. Am Freitag stand ich um Punkt 7 Uhr auf der Medientribüne und wurde Zeuge der feiernden Fans. Auch wenn das Erlebnis nicht ganz dem Angepriesenen Stand hielt – vor allen Dingen, weil die Amerikaner jeden Ansatz eines kreativen Fangesangs mit USA, USA, USA niederbrüllten – war es ein brillantes Erlebnis. Zwar zeigte sich das in Nebel gehüllte Hazeltine nicht gerade von seiner schönsten Seite, aber die Stimmung war ein vielversprechender Mix aus Sentimentalität, Nervosität und Vorfreude. Sentimentalität aufgrund des Todes von Arnold Palmer, an den mehrfach erinnert wurde und dessen Bag vom Ryder Cup 1975 am ersten Tee nicht nur die amerikanischen Spieler erfreute.
#Respect Mr Arnold Palmer… 👍🏆 pic.twitter.com/fJ3ikK7NQJ
— Ian Poulter (@IanJamesPoulter) September 30, 2016
Und Nervosität und Vorfreude, weil niemand ein rechtes Gespür dafür hatte, wer favorisiert sein sollte. Das änderte sich allerdings nach den Foursomes, die für die Amerikaner bekanntermaßen ein historisches 4:0 brachten. Live gesehen habe ich davon wenig, denn – so widersinnig es auch klingt – am meisten bekommt man mit, wenn man den Ryder Cup aus dem Media Center verfolgt. Wer mit einem Match mitläuft, muss nicht nur kämpfen, um überhaupt etwas sehen zu können, man ist auch relativ abgeschnitten vom Rest des Cups. Die Videoleinwände, über die man das Fernsehbild verfolgen kann, werden abgeschaltet, sobald eine Gruppe auf dem Loch ist, damit nicht mitten in einem Schlag die Fans einen Lochgewinn bejubeln. Entsprechend hat man kaum einen Überblick darüber, wie es gerade steht. Im Mediacenter gibt es hingegen fast schon einen Overkill an Informationen.
In der Mitte der gigantischen Leinwand befindet sich ein Scoreboard mit den Ergebnissen aller Löcher in allen Matches des Tages. Auf der linken Seite läuft das live TV-Signal von Sky UK, auf der rechten Seite das zeitverzögerte Signal des Golf Channels (für die Zeitverzögerung darf man sich bei Janet Jackson bedanken). Die Audiosignale sind für alle Medienvertreter dabei über ein kleines Radio zu hören, das zusätzlich u.a. auch noch den herausragenden Radiofeed von BBC5 enthält. Mit anderen Worten: Nirgendwo auf der Anlage ist man besser über den Verlauf des Cups informiert, als im Mediacenter. Und so verwundert es nicht, dass einige Journalisten – insbesondere Veteranen – ihre klimatisierten Plätz lediglich verlassen um zu Essen, oder im Nebenraum an den Pressekonferenzen teilzunehmen. Denn trotz aller Privilegien ist das hier immer noch ein Arbeitsplatz, wo teilweise täglich Artikel verfasst werden (auch wenn sie manchmal daraus bestehen, Artikel aus der New York Times zu lesen, sich die interessantesten Zitate zu nehmen, um sie dann ohne Quellenangabe auf deutsch zu veröffentlichen).
Als gegen Mittag jedoch die Sonne völlig durchbrach, war es höchste Zeit, an die frische Luft zu gehen und die besten Plätze zur Beobachtung der Matches zu finden. Für den Ryder Cup wurden in Hazeltine bekanntermaßen die Schlusslöcher der jeweiligen 9-Loch-Schleifen rotiert. Eine Maßnahme, die aus Fansicht zu begrüßen war. Denn die eigentliche Bahn 16 ist nur für eine begrenzte Zahl an Zuschauern einsichtbar. Auf der rechten Seite und hinter dem Grün schließt das Wasser Tribünen aus, während auf der linken Seite das schräge Gelände nur begrenzt für Zuschauer nutzbar ist. Um das Publikum nicht vom Ende vieler Matches auszuschließen, machte man die 16 zur Bahn 7 und vice versa – und erhielt so ein perfektes Finale. Denn die neue 16 besaß als Par 5 mit Wasser am Grün noch einmal viele Möglichkeiten ein Match zu drehen, hatte eine Videowand, war ringsum von Zuschauern umsäumt und bot mit Abstand die beste Stimmung auf dem Platz.
Andere beliebte Plätze waren die Tribüne an der 9, von der man die Grüns der 9 und der 18 überblicken konnte, die etwas abseits gelegene Tribüne an Loch 15 und – zumindest in der Fourballs – das Loch 5, das zum drivebaren Par 4 wurde. Vom populärsten Platz der Anlage konnte man allerdings so gut wie gar nichts von den Matches sehen: dem Merchandising-Zelt.
Der Andenkenladen war das perfekt organisierte Chaos. Grob geschätzt 100 Kassen waren geöffnet, um den Massenansturm an Andenkenjägern abzuwickeln. Von Pitchgabeln und Schlägerhauben über Shirts und Mützen bis hin zu Golfbags gab es alles was das Herz begehrt – und die geschmacklichen Totalausfälle hielten sich dabei sogar in Grenzen. Einige der populärsten Gegenstände (allen voran eine gelb-blaue Damenpudelmütze auf die in großen Lettern Hazeltine gestickt war) waren bereits am Freitag nicht mehr zu bekommen, denn reihenweise schleppten die Besucher Einkäufe für 1000 Dollar oder mehr aus dem Zelt. Rechnet man konservativ mit einem durchschnittlichen Einkauf von 500 Dollar gingen hier im Fünfminutentakt Waren im Wert von 50.000 Dollar über den Tresen. Kein Wunder, dass die PGA of America und die European Tour mit dem Event ein Vermögen machen.
Der Samstag: Inside the Ropes mit Amy Mickelson
Der zweite Tag der Matches brachte kurzfristig Hoffnung für Europa – zumindest bis Darren Clarke seine Paarungen für den Nachmittag bekannt gab. Niemand, aber auch niemand im Mediacenter konnte verstehen, warum er Clarke Lee Westwood zurück brachte und das spanische Duo Sergio Garcia und Rafael Cabrera-Bello auseinanderriss. Im Nachhinein wurde vielerorts die Ausrede bemüht, dass zum Zeitpunkt von Clarkes Auswahl die Spanier 4 down lagen. Aber was dabei übersehen wird, ist dieses: Garcia und Cabrera-Bello lagen nach 12 Löchern zwei unter Par. Rose und Wood lagen ebenfalls bei zwei unter Par (und führten zwei auf), Stenson und Fitzpatrick lagen Even Par und All Square und selbst das Vorzeigeduo McIlroy und Pieters lag zwar 1 auf, aber nur bei 1 unter Par. Die Spanier waren also keineswegs am schwächeln.
Dennoch war die Nachmittags-Session ein absolutes Highlight, denn ich konnte eines der begehrten und umkämpften Inside the Ropes Leibchen ergattern. Das rosa Lätzchen ist in etwa ein All-Access-Pass für den Ryder Cup. Wer es trägt, darf bei den Abschlägen direkt hinter den Spielern stehen, innerhalb der Absperrseile die Löcher entlang gehen und am Grün direkt vor den Tribünen stehen. Es gibt wohl kein bedeutendes Sportereignis auf der Welt, bei dem man den Sportlern näher sein kann. Fast direkt daneben zu stehen, wenn Thomas Pieters mit diesem unbeschreiblichen Sound einen Ball trifft, beinahe von Tiger Woods über den Haufen gerannt zu werden oder allen Ernstes von ein paar (zugegeben angetrunkenen) Fans mit einem “Hey Media Guy, High Five” zum abklatschen aufgefordert zu werden, ist ein bizarres Erlebnis. Doch das Bizarrste sollte noch kommen.
Nachdem ich die Back 9 des Matches McIlroy/Pieters vs. Koepka/Johnson mitgegangen war und die Europäer nach 16 Löchern zwei auf lagen, beschloss ich am Grün auf die restlichen Matches zu warten. Als das Match Mickelson/Kuchar vs. Kaymer/Garcia an der Reihe war, stolzierte plötzlich eine Blondine mit ihrer Entourage vorbei und stellte sich neben mich. Kaum hatte ich realisiert, dass es sich bei der Blondine um Amy Mickelson handelt, sprach sie mich auch schon an:
Entschuldigung, wir waren eben bei einem anderen Match. Wissen Sie, wessen Bälle dort auf dem Grün liegen?
Der Ball an der Grünkante gehört Kaymer und der mitten auf dem Grün Sergio.
Und wo liegt Phil?
Phil hat vorgelegt.
PHIL HAT VORGELEGT????? (Pause) Gut für ihn.
Amy Mickelsons fast schon fassungslose Überraschung auf die defensive Spielweise ihres Mannes gehört zu meinen persönlichen Top 5 Momenten des Ryder Cups. Ein zweiter folgte nur wenige Minuten später. Nachdem ich das Schlussmatch bis auf die 17 begleitet hatte, wo ich mich auf einen Hügel neben dem Grün niederließ, hockte sich plötzlich John Murray neben mich. Wer schon einmal eine BBC-Radioreportage verfolgt hat, weiß, was für traumhafte Bilder diese Jungs mit ihren Worten malen. Direkt neben ihm zu hocken und zu hören, wie er die Gesten der Spieler in Worte übersetzt oder die Spiegelungen der Zuschauer im Wasser umschreibt, war als würde man in einem Proseminar für Radioreportage sitzen. Unvergleichlich.
Der Sonntag: Inside the Ropes II
Der Ryder-Cup-Sonntag ist ein komplett anderes Biest als die vorherigen Tage. Das Angenehmste daran ist, dass man nicht schon um 6 Uhr auf der Anlage stehen muss, weil die Matches später starten. Das Problematischste ist, dass sich die Matches statt auf vier Löcher auf 12 Löcher verteilen, wodurch es noch schwieriger wird, das Interessanteste nicht zu verpassen. Doch an diesem Tag gab es keine Frage, welches Match man sehen musste: das des amerikanischen Emotions-Monsters Patrick Reed gegen den Spiritual Leader der Europäer, Rory McIlroy. Zwei Tage lang hatten sie sich und die Zuschauer aufgepeitscht, jetzt taten die Kapitäne allen Fans den Gefallen und ließen die beiden im ersten Match gegeneinander antreten. Die Taktik dahinter war klar: Darren Clarke hatte seine stärksten Spieler vorne angestellt, um den Medinah-Effekt zu erzielen. Davis Love III wollte mit Patrick Reed dafür sorgen, dass die Europäer überhaupt nicht auf die Idee kommen, von einem Comeback zu träumen. Und da ich erneut ein Inside the Ropes Leibchen abgestaubt hatte, war klar, bei welchem Match ich mitgehen würde – und es wurde noch epischer, als ich es mir erträumt hatte.
Logischerweise war ich nicht der Einzige, der auf diese Idee kam. Dutzende rosa Leibchen tummelten sich am Fairwayrand und den Grüns, so dass sich auf Seiten der Fans, die seit Stunden ausharrten, um in erster Reihe zu stehen, verständlicher Unmut über die vielen Eindringlinge breit machte (auch wenn sich alle an die Vorgabe hielten, sich hinzuhocken, damit niemandem die Sicht genommen wird). Mit einem langen gelochten Putt zum Par machte Patrick Reed gleich am ersten Loch klar, was hier folgen würde – und sorgte so dafür, dass die amerikanischen Fans vom ersten Moment an hellwach waren. Doch das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die vielleicht epischsten vier Löcher der Ryder-Cup-Historie.
Nachdem McIlroy mit 1 auf vom vierten Loch ging, kamen die beiden an das drivebare Par 4. Statt wie an den anderen Löchern direkt hinter den Abschlägen zu stehen, entschloss ich mich dieses Mal bereits 80 Meter voraus zu gehen. Ein echter Glücksgriff, denn von dieser Position aus konnte man den gesamten Ballflug vor den Bäumen verfolgen. Was folgte, waren zwei Schläge von unglaublicher Brillanz. Ausgestattet mit der Ehre, griff Rory McIlroy zu seinem Holz 3 und schlug einen majestätischen Draw, der sich von rechts immer mehr in Richtung Grün drehte, aber ein paar Zentimeter vor dem Grün hängen blieb. Patrick Reed ließ sich nicht lange bitten, griff zum Driver, spielte eine fast identische Flugkurve und – so sah es zumindest von weiter hinten aus – verpasste nur knapp das Hole-in-One. Das Eagle war nur noch eine Pflichtaufgabe und anschließend pfefferten sich die beiden ein Birdie nach dem anderen um die Ohren, während sich die Stimmung auf den Rängen immer mehr aufheizte, bis sie auf der 8 in der bisher größten Jubel-Explosion entlud, die ich jemals auf einem Golfplatz zu hören bekam.
Auf vier Löchern hatten Reed und McIlroy zusammen unglaubliche 9 unter Par gespielt. Etwas, was später selbst Sergio Garcia und Phil Mickelson in ihrem Fabelmatch nicht schafften. Ich hatte für meinen Teil genug gesehen. Zum Einen würden die beiden dieses Niveau niemals halten können. Zum anderen war ich so investiert in dieses Match, dass ich das größere Ganze aus den Augen verloren hatte. Und da mittlerweile bald alle Matches unterwegs waren, war es an der Zeit eine feste Position einzunehmen – zuerst am Loch 9, anschließend an Loch 16. Und wer hatte die gleiche Idee? Der berüchtigte Greenkeeper Carl Spackler, alias Bill Murray. Der golfbegeisterte Schauspieler wuselte schon die ganze Zeit auf der Anlage herum und plötzlich stand er direkt hinter mir. Aber auch er wusste, was uns wenigen pro-europäischen Fans auf der Pressetribüne frühzeitig klar war: die Messe war gelesen, Europa hatte verloren. So blau sich die obere Hälfte des Leaderboards auch gefärbt hatte. Der Qualitätsabfall zwischen den Top-6-Europäern und dem Rest war einfach zu groß: die Amerikaner hatten das geschlossenere Team. Dennoch war es ein unvergessliches Erlebnis. Es gibt nur ein Problem: Wer einmal einen Ryder Cup so hautnah erlebt hat, kann vermutlich nur schwer wieder ein normales Golfturnier würdigen.