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Tiger: Rezension der HBO-Doku

Wenn am 10. Januar die zweiteilige Dokumentation “Tiger” bei HBO startet (Sky terminiert sie für Deutschland auf Frühjahr, was einen Start um das Masters herum denkbar macht), wird die Rezeption in Deutschland vermutlich über die Bild-Zeitung ablaufen. Denn die Boulevardpresse wird sich genussvoll auf die Aussagen von Rachel Uchitel und anderer Mätressen von Tiger Woods stürzen. Doch das ist nicht einmal ein Zehntel dieser herausragenden Doku, die sich an den Erfolg der Michael-Jordan-Doku “The Last Dance” anhängt, aber in vielen Aspekten sogar noch besser ist. Denn während “The Last Dance” eine hochgradig von Michael Jordan kontrollierte, auf den Sport fokussierte, Doku ist, die seinen Status als G.O.A.T. zementieren sollte, zeichnet “Tiger” ein Bild vom Menschen Tiger Woods. Und das ganz ohne Beteiligung von Woods oder Menschen aus seinem unmittelbaren Umfeld.

Ein klassischer Dreiakter

Die 180 Minuten lange Doku von Matthew Hamachek und Matthew Heineman basiert auf dem 2018 erschienenen Besuch “Tiger Woods” von Jeff Benedict und Armen Keteyian und folgt dem klassischen Dreiakter, den Geschichten seit Hunderten von Jahren implementieren: Aufstieg, Fall und Wiedergutmachung. Der erste Teil der Doku beschäftigt sich dabei mit dem Aufstieg. Der zweite Teil deckt den Fall und die Wiedergutmachung ab und endet mit dem Gewinn des Masters 2019. Für Golffans ist das 15. Major von Woods so etwas wie die Mondlandung, oder 9/11: Jeder weiß, wo er war, als Tiger Woods das für unmöglich gehaltene Comeback geschafft hat. Ich beispielsweise war etwa hundert Meter von dort entfernt, wo er sein viertes und zehntes Major gewann: In der Lobby des Rusacks Hotel in St. Andrews. Ein Ort, der die Magnitude dieses Ereignisses nur noch verstärkt hat. Und dennoch haben die Macher mit diesem Ende eine große Chance verpasst.

Denn Mitte Dezember, als die Doku vermutlich bereits fertig geschnitten war, spielte Woods mit seinem Sohn Charlie bei der PNC Championship. Dieser Auftritt, bei dem Tiger an der Seite seines Sohns aufblühte und Charlie anschließend bei Pressekonferenzen vehement gegen zu großes Eindringen der Medien verteidigte, wäre die perfekte Klammer für die Geschichte gewesen. Denn sie beginnt mit einem Vater, der seinen Sohn zur absoluten Perfektion antreibt und mit Erwartungen belegt, die niemand erfüllen kann – und am Ende wahrscheinlich auch zu seinem Absturz beigetragen haben. Nichts macht dies deutlicher als die Worte, mit denen die Doku eröffnet. Gesprochen von Earl Woods beim 1996er Fred Haskins Award Dinner für den besten College Golfer:

Mein Herz ist voller Glück, wenn ich daran denke, dass dieser junge Mann so vielen Menschen helfen wird. Er wird diesen Sport auf eine neue Ebene heben und der Welt eine Menschenfreundlichkeit geben, die es nie zuvor gegeben hat. Die Welt wird allein durch seine Existenz und Präsenz ein besserer Ort sein. Meine Verdienste daran bilden nur einen kleinen Teil, der darin liegt, dass ich von Gott persönlich auserwählt worden bin, diesen jungen Mann aufzuziehen und an den Punkt zu bringen, ab dem er seinen Beitrag für die Menschheit leisten kann. Dies ist meine wertvoller Schatz. Bitte nehmt ihn an und benutzt ihn weise.

Earl Woods, 1996

Liest man die Liste der Interviewten, würde man annehmen, dass Tiger Woods schlecht wegkommt. Immerhin sind fast nur Menschen zu hören, mit denen er gebrochen hat. Sei es Caddie Steve Williams, Freundinnen von Ex-Frau Elin Nordegren, seine Ex-Geliebte Rachel Uchitel, die Ex-Frau von Mark O’Meara oder dessen Nichte Amber Lauria, die zu Woods nach den Ereignissen von Thanksgiving 2009 keinen Kontakt mehr hat. Doch das Erstaunliche ist, dass keiner von ihnen Hass zeigt, sondern vielmehr ungebrochene Liebe und Bewunderung äußert. Dennoch dürfte Tiger Woods dieser Zweiteiler alles andere als gefallen. Denn sie kratzt das Denkmal von Tigers Vater nicht nur an, sie schubst es mit Anlauf um und zersprengt es in Tausende Stücke.

Wie der Vater so der Sohn

Dabei sind es nicht einmal die Aussagen über Earl Woods’ regelmäßige Untreue – getätigt von einem einstigen Freund, der auf die gleiche Art über die Stränge geschlagen hat -, die am Vernichtendsten sind. Es sind die Worte von Earl Woods selber, die am meisten in Erinnerung bleiben. Niemand wird bezweifeln, dass er seinen Sohn geliebt hat. Aber zu sehen, wie er vom ersten Moment an für Tiger eine Karriere geplant hat, um durch ihn berühmt zu werden, sollte ein Warnschuss für alle überehrgeizigen Eltern sein. Denn die Folgen davon werden erst Jahre später zu sehen sein. Die vielleicht eindrucksvollste und verstörendste Episode wird dabei von Tigers erster Freundin beigetragen.

Dina Gravell-Parr hat seltene Homevideo-Aufnahmen zu der Doku beigesteuert, die Tiger Woods zeigen, wie man ihn nie zuvor gesehen hat. Fröhlich, unbeschwert und voller Liebe: eben ein ganz normaler Teenager. Doch nachdem Tiger ohne Wissen seiner Eltern eine Nacht bei ihr verbrachte, erhielt sie einen handschriftlichen Brief. “Ich schreibe Dir, um Dich darüber zu informieren, dass ich sehr wütend und enttäuscht von Dir bin. (…) Meine Eltern, und auch ich, wollen nie wieder mit Dir reden oder von Dir hören. Wenn ich an unsere Beziehung zurückdenke, fühle ich mich von Dir und Deiner Familie benutzt und manipuliert. Ich hoffe, der Rest Deines Lebens verläuft gut für Dich. Ich weiß, dass dies plötzlich und überraschend kommt, aber es ist meiner Meinung nach gerechtfertigt.” Worte, die nicht gerade danach klingen, als habe sie ein 19-Jähriger an seine erste Liebe geschrieben, sondern als seien sie von Erwachsenen diktiert worden.

Das Problem der Scheinheiligkeit

Aber die Doku klagt auch den hohen Standard an, an dem Prominente gemessen werden. Denn der Absturz von Tiger Woods hat in erster Linie mit der öffentlichen Rezeption zu tun. Natürlich war dies vom Image provoziert, das Woods und seine Sponsoren kultiviert haben. Aber es gehört auch zum Mantra der Medien, dass sie Stars aufbauen, um sie später fallen zu sehen. Nichts macht das deutlicher als der genüssliche Auftritt eines Reporters vom National Enquirer, dem man die hässliche Fliege vom Revers reißen möchte. Und wenn der Chairman von Augusta National – ein Club, der bis 1990 Menschen mit Tigers Hautfarbe als Mitglieder ablehnte – sich hinstellt und Woods wie einen Schuljungen tadelt, weil er fremdgegangen ist (!), wirkt es, als ob der Rassismus an der Magnolia Lane weiter in den Köpfen verankert ist. Oder wie es Bryant Gumble in der Doku formuliert: “Who the hell are you?”

In solchen Momente bekommt man Mitleid mit dem Menschen Tiger Woods. Ob seine Entbehrungen durch sein Vermögen ausgeglichen werden, muss jeder individuell entscheiden. Keine Frage, die HBO-Doku wird gerade Golf-Fans spalten. Doch am Ende dieser 180 Minuten, in denen man im Wechsel weint, jubelt, mitfiebert, geschockt und überrascht ist, erhält man ein überraschend vielschichtiges Porträt. Hardcore-Tiger-Fans werden sich zwar echauffieren, dass ihr Liebling durch den Schmutz gezogen wird. Doch wenn man es als Gesamtwerk wirken lässt, ist es der bisher vielleicht spannendste Einblick hinter die Fassade – obwohl, oder vielleicht sogar weil Team Tiger nichts damit zu tun hatte.

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