Es gibt Menschen, die viel Geld dafür bezahlen, um sich von anderen quälen zu lassen. Wer als Golfer dieses Bedürfnis hat, geht nach Carnoustie – zur Domina unter den Golfplätzen. Spätestens seit 1999 ist der für seine Schwierigkeit berüchtigte Carnoustie Golf Links nämlich unter seinem Spitznamen Carnasty bekannt. Bei der damaligen Open Championship, die durch den Kollaps von Jean van De Velde legendär wurde, hatten schwierige Wetterbedingungen und ein absurdes Setup zu extremen Ergebnissen geführt. Der Schlagdurchschnitt lag bei 78,31, und mit sage und schreibe 12 über Par schaffte man es noch ins Wochenende. Paul Lawries Siegerscore von 290 war der höchste Open-Score seit 1950. Den zweithöchsten hat Gary Player mit 289 – ebenfalls in Carnoustie.
Entsprechend sollte man sich vor einer Runde auf dem Open-Austragungsort 2018 von der Idee verabschieden, dass man hier auch nur annähernd sein Handicap spielen kann. Carnoustie zu spielen, ist wie in den Ring mit Wladimir Klitschko zu treten: Man wird mit Sicherheit diverse Male auf die Bretter geschickt. Die Kunst besteht darin, immer wieder aufzustehen. Das große Problem sind dabei nicht einmal die Ausgrenzen, die dichten Ginsterbüsche, die 110 Topfbunker oder der sich durch die Schlusslöcher schlängelnde Barry Burn: das Problem ist schlicht und einfach die massive Länge.
Satte 6030 Meter zählt der Kurs – wohlgemerkt von den mittleren, gelben Abschlägen. Und wem das nicht schwer genug klingt, dem sei gesagt, dass der Platz sich von diesen Tees als Par 70 spielt. Nur von den 6353 Meter langen weißen Abschlägen ist es ein Par 72. 6030 Meter spielt sich der Platz allerdings nur bei Windstille – und die gibt es hier so gut wie nie. 17 km/h beträgt die durchschnittliche Windgeschwindigkeit, ausgerechnet an diesem Tag jedoch wehte er mit immerhin 30 km/h. Carnoustie zeigte also seine Zähne, biss aber wenigstens nicht zu – es blieb trocken.
Den Einfluss des Winds bekommt man gleich am ersten Tee zu spüren, das zu den reizvollsten Eröffnungslöchern im Golfsport gehört. Das 356 Meter kurze Par 4 führt zu einem in einer Düne eingebetteten Grünkomplex mit recht schmalem Eingang. Eigentlich ein sehr reizvolles, faires Loch zum Auftakt – es sei denn der Wind weht wie an diesem Tag stramm von vorn: Lediglich nach einem gut getroffenem Drive und einem satten Holz 3 war das Grün erreichbar. Allerdings ist auch dies in Carnoustie noch nicht zwangsläufig eine Garantie für ein Par, denn die Grüns sind so gigantisch, dass man auf der Abschlagtafel – die die Pinposition des Tages signalisiert – durchaus mal sehen kann, dass die Fahne 50 Meter tief im Grün steckt.
Dass der Wind die beste Verteidigung für einen Golfplatz ist, macht Carnoustie überdeutlich. Denn den Nachteil des Gegenwinds kann der Rückenwind nicht ausgleichen. Was bringt mir der beste, längste Drive, wenn sich dann – wie an Loch 5 – in 250 Meter Entfernung ein Entwässerungsgraben über meinen Ball freut. Dabei war es an diesem Tag noch die angenehmere Windrichtung. Man mag sich nicht ausmalen, wie sich das ohnehin schon brutale Finish spielt, wenn einem der Wind entgegen bläst. Schließlich finden sich hier ein 215 Meter langes Par 3, zwei 385 Meter lange Par 4s und die 400 Meter lange 15 sowie die 420 Meter lange 14 – beides von gelb ebenfalls Par 4s.
Doch bei aller Härte kann man den Platz keinesfalls als unfair bezeichnen – zumindest nicht für Männer. Frauen werden hier allerdings wenig Freude haben: die vordersten Tees sind als Par 70 noch immer brutale 5618 Meter lang. Doch die Fairways sind relativ großzügig und ultralange Carries bleiben einem ebenfalls erspart. Wie bei allen Linksplätzen gilt es, die Topfbunker zu vermeiden und die Grüns an der richtigen Stelle zu treffen – wer das schafft, kann am Ende trotz des brutal schweren Layouts mit einem zufriedenstellenden Ergebnis vom Loch gehen. Carnoustie zu genießen ist schlicht und einfach Einstellungssache: Wenn man einfach akzeptiert, dass man auf ein Par auf diesem Platz so stolz sein kann, wie auf ein Birdie anderswo, oder sich kleine Ziele setzt, wie die 18 besser als Jean Van De Velde in der Schlussrunde zu spielen, macht die Runde deutlich mehr Spaß.
Dass Carnoustie dennoch ein kleines Stück hinter den anderen großen Linksplätzen zurückbleibt, liegt einfach an der undankbaren Location. Obwohl der Platz nur rund 150 Meter von der Nordsee entfernt liegt, bekommt man das Wasser nicht zu sehen, und die Dünen gehören eher in die Kategorie Körbchengröße A. Das Bunkering hingegen ist herausragend. Man wird auf der Welt kaum besser und eleganter verteidigte Grünkomplexe erleben, und die Spectacle Bunkers an Loch 14, oder die Fairway Bunker an Loch 6 (die für “Hogan’s Alley” sorgen) haben ebenso einen festen Platz in der Liste der legendären Golflöcher, wie die vom Barry Burn durchkreuzten 17 und 18. Zwar muss man hinterfragen, ob es für Alltags-Golfer nicht ehrlicher wäre, aus dem Platz ein Par 72 zu machen. Und einige Löcher, wie die 7, 9, 10 und 11 fallen dann doch recht deutlich gegenüber dem Rest ab. Aber mit jedem Schritt auf diesem taffen Links atmet man ein Stückchen Golfgeschichte. Das kann einem kein S/M-Studio der Welt bieten.
Gespielt am: 24.9.2015
Disclaimer: Der Bericht entstand im Rahmen einer Einladung. Anreise, Greenfee und Logie wurden gestellt.