1960 begann Clifford Roberts, Vorsitzender von Augusta National, eine Revolution im Golfsport. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde auf Scoreboards meist nur die Gesamtzahl der Schläge angezeigt. Eine Methode, die an die Frühzeit des Ski Langlauf erinnerte: Die Sportler starten, laufen in den Wald hinein und erst wenn sie nach 50 Kilometer wieder herauskommen, hat man einen Überblick darüber, wer wie gut war. Das wollte Roberts ändern. Damit die Zuschauer während des Masters jederzeit einen Überblick über den Zwischenstand haben, ließ er die Scoreboards mit verschiedenfarbigen Zahlen ausstatten: rot für Ergebnisse unter dem Platzstandard, grün für Ergebnisse darüber. Das Ergebnis in Relation zum Par war geboren und erhöhte die Attraktivität des Sports für den (TV-)Zuschauer um ein Vielfaches. Es war aber auch der Katalysator für eine absurde Entwicklung: das Konzept des “protecting par”.
Als es noch hieß, Spieler XY hat mit 268 Schlägen das Turnier gewonnen, war dies nur eine Zahl. Als das gleiche Ergebnis aber plötzlich hieß, der Gewinner hat 20 unter Par gespielt, war dies ein Affront. Clubbetreiber sorgten sich, dass niedrige Ergebnisse ihren Platz für mögliche Gäste unattrakiv erscheinen ließen, und Mitglieder, die auf der gleichen Wiese im Schnitt 20 über Par spielten, fühlten sich tief in ihrer Ehre gekränkt. Als Resultat versuchten immer mehr Turnierveranstalter Verteidigungsmechanismen gegen niedrige Ergebnisse einzuführen, allen voran die U.S. Open. Für ihre jährliche Meisterschaft gab die United States Golf Association das Ziel vor, um jeden Preis einen Sieger mit Even Par zu küren – und vergriff sich dabei schon mal in den Methoden.
Dass die U.S. Open-Austragungsorte mittlerweile besser verteidigt werden als Fort Knox hat natürlich viel mit Tiger Woods zu tun – nicht ohne Grund hat sich “Tigerproofing” zu einem geflügelten Wort entwickelt. Seinen Anfang hat es jedoch schon viel früher als “Johnnyproofing” genommen: am 17. Juni 1973. Mit einer unfassbaren 63 in der Schlussrunde der U.S. Open nahm Johnny Miller den Platz von Oakmont auseinander und ließ die Alarmglocken der Verantwortlichen schrillen. Das Resultat ging 12 Monate später als “Massaker von Winged Foot” in die Golfgeschichte ein. Mit schmalen Fairways, knietiefem Rough und ultraharten Grüns sorgte der damals für das Setup verantwortliche Sandy Tatum dafür, dass sich Hale Irwin mit sieben über Par zum Sieg quälte. “Es gibt viele, die sagen, dass ich für das Ergebnis von Winged Foot verantwortlich bin”, sagte Johnny Miller später. “Die USGA Offiziellen waren sicher nicht glücklich über das, was in Oakmont passiert ist.” Tatum hingegen verteidigte sich: “Es ging uns nicht darum, die besten Golfer der Welt vorzuführen. Wir wollten sie identifizieren.”
Ein legitimer Ansatz, doch entspricht er der Realität? In ihrem Versuch die Plätze unendlich schwer zu machen, gehen die Verantwortlichen bis heute fast immer noch den gleichen Weg wie in Winged Foot: hohes Rough, schmale Landezonen, pfeilschnelle Grüns. Das selbsternannte Ziel ist es dabei Genauigkeit zu belohnen und einen verzogenen Schlag mit äußerster Härte zu bestrafen. Doch die Rechnung ging lange Zeit nicht auf. Die Juni-Ausgabe von “Golf Digest” erinnert sich an eine Episode in Baltusrol 1993 zurück:
An Loch 5, einem Par 4, traf er [Mike Davis] auf Keith Fergus, der das Fairway auf der rechten Seite um 60cm verfehlt hatte, aber so eine schlechte Lage erwischte, dass er den Ball selbst mit einem brutalen Schlag nur wenige Meter fortbewegen konnte. Ein Mitspieler derweil, der seinen Ball 20 Meter weiter aus der Linie verzogen hatte, fand seinen Ball in deutlich besserer Lage und konnte aufs Grün spielen. (…) “Ich weiß noch, wie ich dachte, ‘Das ist absurd'”, sagt Davis. “Als ich mir immer mehr U.S. Open über die Jahre angeschaut habe, dachte ich mir ‘Mann, wenn Du je etwas damit zu tun hast, werden wir das ändern'”
Mittlerweile IST Davis für das Setup der U.S. Open verantwortlich und hat seit 2006 das Konzept des graduellen Roughs eingeführt, das immer höher wird, je weiter man sich von der Spiellinie entfernt (wobei es natürlich immer noch die Trampelpfade der Zuschauer gibt). Doch inwieweit hat er damit geschafft, dass die U.S. Open wirklich Genauigkeit vor Länge bevorzugt? In zwei Worten: Gar nicht!
Sky Sports hat mir dankenswerterweise die Arbeit abgenommen, die Sieger der letzten U.S. Open statistisch auszuwerten. Das Ergebnis:
Von den letzten 7 Siegern gehörten 5 vom Tee nicht einmal zu den hundert genauesten Spielern ihrer Tour. Sechs hingegen gehörten zu den 60 längsten mit dem Driver. Nun sind die Saisonstatistiken wenig aussagekräftig. Schließlich könnte es ja sein, dass die Spieler für die U.S. Open defensiver zu Werke gegangen sind, oder gerade eine außergewöhnliche Woche erwischten. Doch auch die Statistiken der Turniere selber untermauern diese Werte. Drei der letzten fünf Sieger (die Zeitspanne seit Mike Davis’ Amtsantritt) gehörten bei der Drive-Genauigkeit zur schlechteren Hälfte des Feldes. Aber alle fünf gehörten bei der Drivelänge zu den Top 8. Eine Statistik, die beweist, dass Rough einfach kein guter Verteidigungsmechanismus ist und sogar das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich erwünscht ist. Denn die Power-Hitter sind nicht nur länger vom Tee, sie schlagen auch ihre Wedges – den Schläger, mit dem man den Ball aus U.S. Open Rough am besten kontrollieren kann – deutlich weiter. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wer vom Tee eine größere Distanz überbrücken kann, hat eine bessere Chance das Grün zu erreichen – auch wenn er pro Runde vielleicht zwei Mal öfter im Rough liegt als der kürzere Spieler, der aus diesen Lagen aber nur vorlegen kann.
Dies haben wohl auch die Verantwortlichen gemerkt. Im vergangenen Jahr in Pebble Beach ging man sogar dazu über, den Wildwuchs abseits des Fairways einzudämmen. Zwar geschah dies in erster Linie um die Klippen mehr ins Spiel zu bringen, aber das Beispiel macht Schule. Für die U.S. Open 2014 in Pinehurst wurde bereits jetzt der Platz mehr an seinen Urzustand zurück geführt (was mit einer sehr schönen Webseite begleitet wird). Das Rough wurde entfernt, an seine Stelle traten natürliche Waste-Areas mit Grasbüscheln, wie sie ursprünglich von Donald Ross gedacht waren. Das Resultat ist ein Platz, der nicht nur günstiger und ökologischer zu bewirtschaften ist, weil es kein zu überwässerndes Rough gibt, es ist auch einer, der die Kreativität in das Golfspiel der U.S. Open zurückführen könnte. Denn klassische Golfarchitektur, wie sie Alistair MacKenzie oder Donald Ross vorgelebt hat, lässt den Spielern immer mehrere Möglichkeiten. Grob zusammengefasst: Am Abschlag kann ein Spieler die sichere Seite des Fairways wählen, hat danach aber einen schwierigen Schlag ins Grün – oder er wählt den riskanten Schlag vom Tee über oder neben ein Hindernis und wird dafür mit einem freien Blick ins Grün belohnt. Dieses Denken versucht Mike Davis den U.S. Open langsam wieder zuzuführen. Mit radikal unterschiedlichen Längen (für 2015 in Chambers Bay denkt er sogar darüber nach zwischen den Runden den Platzstandard zu ändern) und in Ansätzen sogar breiteren Landezonen für die Drives fordert er die Profis ab und an heraus, aus der Monotonie ihres Spiels auszubrechen und bringt die Magie des Risk/Rewards zurück. Die spannende Frage wird sein, ob er diese Linie über die nächsten Jahre weiter forcieren darf – oder ob bei der nächsten 63 wieder eine Kurzschlusshandlung der USGA einsetzt. Vielleicht sollte man sich stattdessen einfach mal ein paar Jahre zurückerinnern.
Damals startete die PGA Tour eine Image-Kampagne unter dem Motto “These Guys Are Good”. Kann man dies nicht einfach als Fakt akzeptieren? Diese hochbezahlten Professionals spielen auf einem Level, der nun mal höher ist, als der des Brutto-Siegers beim Monatsknopf. Und wenn Golf eine Sportart sein will, muss man auch akzeptieren, dass unterschiedliche Ergebnisse dabei herausspringen. Schließlich stellt man beim 100-Meter-Lauf ja auch keine Windmaschinen auf, oder lässt die Laufbahn um 10 Meter verlängern, nur weil Usain Bolt drei Sekunden schneller läuft als ein Ehrenurkunden-Gewinner bei den Bundesjugendspielen.