Liebe Sportjournalisten Deutschlands,
Sie haben heute Abend eindrucksvoll bewiesen, dass Ihr Sportbild äußerst begrenzt ist. Ihre einzige Aufgabe bei der Wahl zum Sportler des Jahres ist es, diejenigen zu küren, die im Kalenderjahr 2014 die besten Leistungen gezeigt haben. Es ist nicht Teil Ihrer Aufgabe darüber zu urteilen, welche Sportart Ihnen sympathisch ist, wer die höchsten Einschaltquoten produziert, wer Ihnen die nettesten Interviews gegeben hat oder welcher Name Ihnen am häufigsten begegnet, wenn sie die Meldungen von der dpa oder dem sid abtippen. Das Einzige, was neben dem sportlichen Erfolg laut offizieller Angaben mit hereinspielen darf, ist, wer “durch Haltung und Charakter aufgefallen“ ist.
Robert Hartings Einsatz für die Sportlotterie ist sicherlich ehrenwert (wobei man bei Lotterien ohnehin vorsichtig sein sollte, wie John Oliver brillant für die USA bewies), aber ist dies wirklich so hoch einzuschätzen, dass er mit einem Europameistertitel zum dritten Mal in Folge Sportler des Jahres werden muss? Dies soll keine Herabwürdigung der sportlichen Leistungen von Herrn Harting sein. Er hat für sich gewonnen, was es zu gewinnen gab. Aber in einem Jahr ohne Olympische Sommerspiele und ohne Weltmeisterschaften ist so eine Titelvergabe – besonders wenn man ihn die Jahre zuvor schon gewürdigt hat – nicht nachzuvollziehen.
Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Sportler, die 2014 deutlich größere Titel gewonnen haben. Sebastian Kienle beispielsweise, der als erster überhaupt in einem Jahr Europameister im Triathlon geworden ist und den Iron Man auf Hawaii gewonnen hat. Oder unsere Olympia-Helden Felix Loch und Eric Frenzel, die neben einer Goldmedaille auch den Gesamtweltcup eingefahren haben. Oder Patrick Hausding, der als erster seit 1989 drei Einzeltitel im Wasserspringen gewonnen hat. Oder – und darum steht der offene Brief auf dieser Seite – auch Martin Kaymer.
Ich weiß, Sie können sich für Golf nicht sonderlich begeistern, das ist Ihr gutes Recht. Aber wenn man in einem Beruf ist, bei dem man sich von A(merican Football) bis Z(ehnkampf) mit allen Sportarten befasst haben sollte, wenn man seinen Stimmzettel ausfüllt, sollte man vielleicht auch bis G buchstabieren können. Dabei haben Sie sich in diesem Jahr doch genug mit Martin Kaymer beschäftigt. Zu Beginn des Jahres, als viele von Ihnen Kaymer totgeschrieben haben aufgrund zweier schwächerer Jahre. Und sogar seine großen Erfolge im Sommer waren einigen ein paar Zeilen wert. Aber ich glaube den meisten von Ihnen ist gar nicht bewusst, was diese Erfolge bedeuten. Deswegen möchte ich sie Ihnen einmal kurz in einer Sprache erklären, die Sie verstehen.
Sie alle kennen sich doch mit Tennis aus, oder? Wie beim Tennis gibt es auch im Golfsport vier Turniere von deren Sieg alle träumen. Die Open Championship (quasi Wimbledon), die PGA Championship (=Australian Open), die U.S. Open (=U.S. Open) und das Masters (=French Open). Hinzu kommt ein inoffizielles Grand Slam Turnier, die Players Championship, vielleicht vergleichbar mit dem ATP World Final. Nun stellen Sie sich einfach mal vor, ein deutscher Tennisspieler hätte dieses Jahr folgende Leistung erbracht: Er gewinnt die U.S. Open – und zwar in so dominanter Manier, dass er mehrfach die Gegner 6:0 6:0 6:0 vom Platz fegt und im gesamten Turnier nicht einen einzigen Satz verliert. Er gewinnt das ATP World Final nach einer Schwächephase auf so spektakuläre Art, dass die ganze Tenniswelt noch Wochen danach von diesem einen Passierball durch die Beine spricht. Und anschließend ist er auch noch Teil des erfolgreichen deutschen Davis-Cup-Teams, im Golfterminus Ryder Cup. Hätten Sie eine Sekunde darüber nachgedacht, jemand anderes als diesen Tennisspieler 2014 zum Sportler des Jahres zu küren? Vermutlich nicht.
Natürlich könnten Sie sich dahinter verstecken, dass Sie nur Sportler ehren wollen, die nicht Millionen mit ihrem Sport verdienen. Doch das hat bei Dirk Nowitzki, Sebastian Vettel und Michael Schumacher auch nie eine Rolle gespielt. Und wenn man Sportler fördern möchte, die nicht ständig in der Werbung zu sehen sind, hätte man statt Robert “DKB” Harting dann doch eher die Herren Kienle, Loch oder Frenzel prämieren sollen.
Auch das Argument, dass Robert Harting ja gar nicht mehr als einen EM-Titel gewinnen konnte, hat wenig Wert. Schließlich durte es für absolute Randsportler in den drei nicht-olympischen Jahren auch noch nie angeführt werden. Siehe Patrick Hausding, der 2014 sogar drei EM-Titel gewonnen hat und nicht mal unter den Top 10 landete – anders als beispielsweise Nico Rosberg, der sich seine Platzierung damit verdient hat, dass er zufällig im mit Abstand besten Formel-1-Boliden saß und sich eine schlagzeilenträchtige Hassfreundschaft mit Lewis Hamilton lieferte.
Ist das etwas das Geheimnis um Sportler des Jahres zu werden? Sollte sich Martin Kaymer einfach nach jedem Sieg das Poloshirt vom Leib reißen? Sollte sich Eric Frenzel einen medialen Zickenkrieg mit Fabian Rießle liefern? Muss Sebastian Kienle ständig in Werbespots zu sehen sein? Das kann es doch nun wirklich nicht sein. Die heutige Wahl zum Sportler des Jahres ist ein Affront für alle Sportler, die sich 2014 den Hintern aufgerissen haben, um von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden – und dazu gehören absolute Amateursportler wie Sebastian Kienle ebenso wie der Millionär Martin Kaymer.
Die größte Überraschung des Abends ist, dass Sie den Preis für die Jahre 2015 und 2016 nicht gleich mit an Robert Harting verliehen haben. Denn dort finden schließlich eine Leichtathletik-WM und die Olympischen Spiele statt. Und wenn unser Diskus-Star schon für eine EM Sportler des Jahres wird, könnte Martin Kaymer vermutlich den Grand Slam holen, Sebastian Kienle die Iron Man WM in Weltrekordzeit gewinnen und Eric Frenzel in jedem Rennen des Jahres triumphieren – sie würden das Nachsehen haben. Und falls Sie glauben, Sie könnten diese Worte als frust eines enttäuschten Kaymer-Fans abqualifizieren (den ich 2014 übrigens hinter Kienle und Frenzel einrangiert hätte), lassen Sie mich zum Abschluss jemanden sprechen, dessen Meinung Sie respektieren: Robert Harting.
Unmittelbar nachdem Rudi Cerne und Katrin Müller-Hohenstein seinen Namen als Sieger verlesen hatten (und nachdem Harting anscheinend die Worte Eric Frenzel mit seinem Mund geformt hatte), drückte der Europameister ob dieser bizarren Entscheidung mit seinem Gesichtsausdruck völlige Fassungslosigkeit aus. Vielleicht sollte man in Zukunft doch lieber kompetente Sportler wie Robert Harting die Wahl treffen lassen, als nur semi-interessierte Sportjournalisten.