Wenn es um Qualität von Golfplätzen geht, gibt es zwei Philosophien. Die eine ist, dass man die besten 18 Löcher bauen sollte, die auf dem Gelände möglich sind. Die andere lautet, dass man die Bahnen möglichst in einem Fluss baut. Und dafür auch mal ein schwächeres Verbundungsloch in Kauf nimmt. West Cliffs im portugiesischen Obidos gehört ganz klar zur ersten Kategorie.
Ein Ansatz, der sich für das Design von Cynthia Dye McGarey, Nichte des legendären Pete Dye, ausgezahlt hat. Obwohl der Schwesterplatz von Praia d’el Rey erst 2017 eröffnet hat, ist West Cliffs mittlerweile ständiger Vertreter unter den besten Plätzen Kontinentaleuropas. Und auf den meisten Listen Portugals ganz oben oder direkt hinter Jack Nicklaus’ Monte Rei ausgeführt. Entsprechend voller Vorfreude kam ich dort an. Wie oft kann man einen der besten Plätze Europas für 40 Euro Greenfee bei Windstille, strahlendem Sonnenschein, 20 Grad Celsius und nahezu ohne andere Golfer vor oder hinter einem spielen?
Stark gebaut, aber zu stark bebaut
Allerdings waren die ersten Bahnen erst einmal ernüchternd. Nach einem gefühlt 400 Meter langem Marsch vom Clubhaus durch eine Unterführung zum ersten Abschlag, wirkte der Auftakt wie bei jedem anderen Resortplatz in Portugal. Der Pflegezustand war toll, die Bahnen hatten die obligatorischen Ondulierungen und schick anzusehenden Bunker, ein künstlicher See kam ins Spiel und überall rundherum standen entweder Häuser oder Baukräne, die neue Häuser hochzogen.
Eines ist klar: Wer die Chance hat, West Cliffs zu spielen, sollte nicht warten. Denn mit jedem Jahr wird der Anfang visuell unattraktiver. Bis dato sind die Häuser vorwiegend an den Bahnen 1, 3 und 4. Aber die Pläne zeigen, dass die ersten sechs Bahnen sowie ein Teil der 9 eine Randbebauung erhalten sollen, was die Attraktivität deutlich verringen wird. Doch all das wird durch die herausragenden Back 9 ausgeglichen, die sich durch ein aufregendes Gelände ziehen, vielerorts Meerblick bieten und spektakuläre Bahnen haben. Und an dieser Stelle kommen wir wieder zu der eingangs erwähnten Designphilosophie. Denn für die tollen Bahnen zahlt man einen Preis. Zwischen vielen Löchern sind mehr als 100 Meter Fußweg zu hinterlegen, oft auch bergauf.
Für den Club eine Win-Win-Situation. Schließlich werden sich viele Golfer zwei Mal überlegen, ob sie sich das zu Fuß antun würden. Und die Vermietung von Carts ist für einen Golfclub das, was Popcorn und Getränke für Kinobesitzer sind: eine äußerst lukrative Einnahmequelle. Für uns gehört es jedoch zur Philosophie, einen Platz laufend zu erkunden, weil man so die Details viel besser wahrnehmen kann. Und genau in diesen Details liegen die Stärken von West Cliffs.
Klug konstruierte Par 3s
Ein frühes Beispiel dafür sind die ersten beiden Par 3s. Je nach Fahnenposition kann die 87 (rot) bis 146 (schwarz) Meter lange Bahn 2 rund 30 Meter variieren. Nimmt man den üblicherweise kräftigen Wind hinzu, kann sich die Schlägerwahl hier schon mal mächtig unterscheiden. Dabei wäre das Loch schon so anspruchsvoll genug. Das stark erhöhte Grün wird frontal von einer Waste Area verteidigt und sowohl links als auch rechts fällt alles steil ab. Die 5 ist wiederum ein Redan-artiges Grün, dessen Ondulierung von vorne nach hinten und rechts nach links man bedenken muss. Überhaupt darf man auf West Cliffs keine Sekunde die Konzentration verlieren. Einen Tag zuvor erzählte mir ein Mitspieler, der Starter habe ihn gefragt, wie viele Bälle er dabei hat. Als er meinte 10, bekam er die Replik: das wird nicht reichen. Ganz so schlimm ist es nicht.
Der größte Ballfresser auf diesem Platz sind die Mittagsblumengewächse (Ice Plants), die abseits der Fairways lauern. Wer also nicht frustriert werden will, sollte hier zwei Ratschläge befolgen: die richtige Wahl der Teeboxen (je stärker der Wind, desto weiter vorne) und eine realistische Einschätzung des eigenen Könnens. Wer nicht gerade einen windstillen Glückstag erwischt wie ich, sollte eine defensivere Spielart bevorzugen. Am Ende gingen bei mir drei Bälle drauf, einer davon nach einem guten, aber blinden Schlag ins Grün. Die anderen zwei wären wohl auch auf jedem anderen Platz der Welt weg gewesen. Denn tatsächlich sind die Fairways auf West Cliffs großzügiger, als es von den clever angelegten Teeboxen aussieht.
Eine unvergessliche Back 9
Die größte Herausforderung beim Abschlag sind die Winkel. Sehr oft knicken die Fairways leicht zur einen oder anderen Seite. Umso wichtiger ist es, sich genau die richtige Linie anzuschauen. Wie so oft, ist auch auf West Cliffs die wichtigste Waffe nicht der Driver oder Putter, sondern der Kopf. Ihn braucht man vor allen Dingen ab Bahn 7, wenn die Bebauung vorbei ist. Das 392-534 Meter lange Par 5 wartet in der Mitte mit einer großen Waste Area auf. Die 8 hat einen erhöhten Abschlag, der den Wind voll ins Spiel bringt und das 232-330 Meter lange Par 4 anspruchsvoller macht, als es aussieht. Und die 9 ist ein Dogleg nach links, bei dem es vor allem darauf ankommt, das Wedge oder kurze Eisen ins stark von Bunkern verteidigte Grün genau zu platzieren. Doch der echte Spaß beginnt erst mit dem Abschlag der 10 neben dem Clubhaus.
Was West Cliffs auf den zweiten 9 zu bieten hat, ist schlichtweg herausragend. Nahezu jede Bahn ist ein Unikat. Auf der 11 zieht sich eine Düne ins Fairway und sorgt auf dem kürzesten Weg für einen blinden Schlag. Die 13 zieht sich im leichten Dogleg nach links einen Hügel hinauf. Die 14 ist ein aufregender Drive ins Tal, bei dem alles nach links abfällt. Die 15 verlangt vom Tee einen Heroshot auf ein abknickendes Fairway. Die 16 ist ein kurzes Par 3, bei dem das Grün so onduliert ist, das mein Chip fast vom Grün rollte und der Rückputt mit großem Bogen das Loch fand. Die 17 macht einen 90 Grad Knick nach rechts, hinter dem der Schlag ins Grün steil bergab führt. Und die 18 stürzt spektakulär in die Tiefe über ein Fairway, dessen Blick von einer Düne versperrt ist, auf ein Grün, das von einem Teich verteidigt wird.
Portugals Nummer 1
Wie gut sind die Back 9? Sie haben mich regelrecht in ein Golfer High versetzt, bei dem sich im Bauch das gleiche Gefühl einstellt, als sei man frisch verliebt. Ob meine Gefühle daran lagen, dass ich das beste Golf des Jahres gespielt habe, oder ob die Liebe zu den Bahnen dazu geführt hat, dass ich gut gespielt habe, ist nur schwer voneinander zu trennen. Aber angesichts der Reaktionen, die ich von anderen Golfern über West Cliffs gehört habe, ist Letzteres wahrscheinlicher. Dass das 4533 bis 6382 Meter lange Par 72 trotz des schwächeren Auftakts meiner Meinung nach der beste Golfplatz Portugals ist, sagt glaube ich alles. Ein Muss für jeden, der in die Lissabon-Gegend kommt.
Gespielt am: 21.12.2021