Pressekonferenzen und Interviews sind für gewöhnlich eine langweilige Angelegenheit: Journalisten stellen die stets gleichen Fragen und die Athleten spulen routiniert ihr Pflichtprogramm ab. Genau aus diesem Grund schlägt es solche Wellen, wenn einmal jemand aus dem Rahmen fällt. Rudi Völlers Weizenbier-Attacke, die passiv-aggressive Attitüde von Louis van Gaal, Giovanni Trappatonis Wutrede, Per Mertesacker und die Eistonne: sie haben sich unvergesslich gemacht, weil sie eben nicht die korrekten, trainierten Antworten gegeben haben. Und seit Dienstag gehört auch Rory McIlroy dazu.
Zum x-ten Mal auf seinen Olympia-Verzicht angesprochen, platzte dem Nordiren auf seiner Pressekonferenz im Vorfeld der Open Championship der Kragen:
Ich habe nicht mit Golf angefangen, um den Sport bekannt zu machen. Ich wollte Meisterschaften und Majors gewinnen. (…) Ich werde mir die olympischen Wettbewerbe sicher anschauen, aber ich bin mir nicht sicher, dass Golf darunter ist. (…) Vermutlich schaue ich Leichtathletik, Schwimmen, Turmspringen. Die Dinge, die wichtig sind eben.
Das Echo ließ nicht lange auf sich warten: Internet-Kommentatoren (mittlerweile gelöscht) bezeichneten ihn als geldgierigen, verwöhnten Schnösel, zweifelten seinen Intellekt an und behaupteten, er würde den Golfsport und die olympischen Werte verraten. Letzteres betonte auch Golf Channels Krawall-Kommentator Brandel Chamblee, der sich gerne schlagzeilenträchtig mit Golfern wie Tiger Woods oder Phil Mickelson anlegt. Sein Fazit: “Er [Rory McIlroy] wird diese Worte den Rest seines Lebens bereuen. Er wird diesen Moment mehr bereuen als jeden anderen in der Geschichte seiner Karriere.”
Damit könnte Chamblee sogar Recht haben. Denn genau solche Leute wie er werden dafür sorgen, dass diese Sätze wieder und wieder hervorgekramt werden. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob McIlroy mit seinen Aussagen Recht hat oder nicht. Sie passen einfach nicht in das Bild, das Journalisten und Fans von ihren Sportlern haben wollen. Zwar wird immer gejammert, dass Sportler-Interviews nichtssagend sind, aber wenn dann jemand mal offen und ehrlich ist und seine Seele öffnet, wird ein langes Messer genommen und hineingestochen. Case in Point: Nur wenige Minuten vor McIlroy hatte Jordan Spieth eine Pressekonferenz und gab darin diese Antworten.
Ich habe mich aus Gesundheitsgründen so entschieden. Dies war vermutlich die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Es was schwieriger als die richtige Uni zu wählen. Schwieriger als die Schule zu verlassen und Profi zu werden. (…) Es war so schwierig, weil ich an Golf bei Olympia glaube und daran für sein Land anzutreten. (…) In diesem Jahr musste ich jedoch ein Risiko abwägen, das sich nicht jedes Jahr präsentiert. (…) Ich erwarte nicht, dass es jeder versteht, aber ich vertraue darauf, dass ich die richtige Entscheidung für mich, meine Zukunft und die Menschen in meiner Umgebung treffe. (…) Aber ich werde mir Tokio 2020 zum Ziel setzen.
Ein Statement, wie man es nicht besser formulieren könnte. Ein Statement, das nahezu zu perfekt und einstudiert wirkt: Nirgends aneckend und im Kern auch ziemlich nichtssagend. Anders als McIlroy, der auch nach zwei Wochen noch davon überzeugt ist, das Richtige getan zu haben, beruft sich Spieth auf eine innere Zerrissenheit. Ob es stimmt? Ganz egal! Es ist das, was die Öffentlichkeit hören will. Und genau aus diesem Grund kam Spieth für seine olympische Absage relativ ungeschoren davon. Dabei blieb er in seiner Begründung schwammiger als jeder andere. Angesprochen auf seine Gesundheitsbedenken, “spezifizierte” Spieth:
Ich kann Ihnen verraten, dass meine Gesundheitsbedenken nicht genau auf eine Sache beschränkt sind. Sie haben mir das [mit dem Zika-Virus, Anm. d. Red.] in den Mund gelegt. Es geht um allgemeine Gesundheitsbedenken.
Viel kalkulierter und schwammiger kann man seine Aussage nicht formulieren. Nachdem seine Kollegen, die sich bei Ihrer Absage auf das Zika-Virus berufen haben, dafür unter Beschuss geraten sind, weil die Golferinnen ja nun auch nicht absagen, im brasilianischen Winter weniger Mücken herumschwirren und überhaupt das Infektionsrisiko relativ gering ist, wollte sich Spieth diese Zielscheibe nicht aufmalen. Stattdessen redete er mit Worthülsen um den heißen Brei herum. Und obwohl die versammelten Golfjournalisten jahrelang lamentierten, dass Tiger Woods ihnen nur Lari-Fari-Zitate gegeben hat, ließen sie Spieth für seine Aussagen ungeschoren davonkommen und stürzten sich stattdessen auf McIlroy, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte.
Denn der Nordire sprach nicht nur beim Thema Olympia Klartext, er redete auch beim Thema Doping nicht um den heißen Brei herum:
Ich wurde dieses Jahr erst einmal von der IGF im Rahmen des olympischen Testprogramms untersucht, am Freitag der U.S. Open. Aber das war nur ein Urintest. Ich hatte bisher noch keinen Bluttest. Im Schnitt werde ich pro Jahr vier oder fünf Mal getestet, was im Vergleich zu anderen olympischen Sportarten sehr wenig ist. (…) Ich kenne zwar kein Mittel, dass uns in jeder Hinsicht Vorteile bringt. Natürlich gibt es Mittel, die einen stärker machen. Und andere, die Dir bei der Konzentration helfen. Aber ob es da draußen etwas gibt, was Dich zu einem besseren Golfer macht, weißt ich nicht. Physisch kann man natürlich stärker werden und sich schneller von Verletzungen erholen. Beispielsweise kann man HGH nicht im Urin nachweisen. Ich könnte HGH benutzen und damit durchkommen. Deshalb denke ich, dass Bluttests auch im Golf passieren müssen, um sicherzustellen, dass Golf sauber ist. Wenn Golf olympisch ist und so gesehen werden möchte wir andere Sportarten, müssen die Tests rigoroser werden.
Eine Aussage mit viel größerer Sprengkraft als McIlroys Olympia-Verzicht. Aber weil es nicht in den Rahmen der aktuellen Berichterstattung passt, wurde es in den meisten Berichten lediglich als Randnotiz vermerkt. Dabei fand sogar die WADA die Aussagen beunruhigend – was sich in diesem Fall nicht gegen McIlroy sondern seine Tatsachenschilderungen richtet. Stattdessen wird der Weltranglisten-Vierte zum Sündenbock für etwas gemacht, für das er nicht verantwortlich ist.
Denn der große Push, Golf olympisch zu machen, kam von anderen. Als sich die IGF 2009 bewarb, hatte sie vor allem ein Zugpferd vor den olympischen Karren gespannt: Tiger Woods. Der Amerikaner war damals der vielleicht wichtigste Sportler der Welt. Und es ist sicherlich keine gewagte These zu behaupten, dass die immer kommerzieller werdenden Olympischen Spiele mit der Einbindung von Golf ihr Stück von diesem Kuchen abhaben wollten. Woods schrieb eine 32-seitige Broschüre in der er für Golf warb. Padraig Harrington, Vijay Singh, Colin Montgomerie und Sergio Garcia betrieben ebenso Werbung – und beim finalen Pitch traten Woods, Harrington, Jack Nicklaus, Annika Sörenstam, Michelle Wie und Matteo Manassero auf.
Die Gemeinsamkeit dieser Namen? Fast keiner steht im Teilnehmerfeld für Rio – und zwar unfreiwillig. Nur wenige Wochen nachdem die Aufnahme von Golf beschlossen wurde, lenkte Tiger Woods sein Auto gegen einen Hydranten und zerstörte sein Leben, seine Karriere und seinen Ruf. Monti, Nicklaus und Sörenstam waren bzw. sind mehr oder weniger in Rente. Michelle Wie und Matteo Manassero haben sich nicht in das arg begrenzte Starterfeld spielen können. Die einzigen qualifizierten Werber sind Sergio Garcia, Padraig Harrington (ironischerweise auch dank McIlroys Absage) und Vijay Singh. Der einzige von ihnen, der nicht antritt? Vijay Singh. Ein 53-Jähriger, der mit Berufung auf das Zika-Virus zurückgezogen hat. Hat ihn irgendein Journalist für diese Doppelmoral kritisiert? Nein. Stattdessen fällt der Hauptteil der Vorwürfe auf McIlroy. Einen Profi, der zum Zeitpunkt der Olympia-Aufnahme 20 Jahre alt war und gerade einmal sein erstes Profiturnier gewonnen hatte.
Was man ihm zum Vorwurf machen kann ist, dass er nicht von vornherein gesagt hat, dass er eigentlich keine Lust auf Olympia hat. Ein Umstand, den er am Mittwoch zwischen den Zeilen selber zugab.
Ich habe die letzten sieben Jahre versucht, es jedem Recht zu machen. Und ich habe herausgefunden, dass ich das sowieso nicht kann. Also kann ich auch mir selber gegenüber ehrlich sein.
Mit anderen Worten: Seit Golf 2009 olympisch wurde hat McIlroy das gemacht, was einem Sportler von seinen Beratern beigebracht wird: der Öffentlichkeit das zu geben, was sie hören will. Denn schon weit vor allen anderen stand er wegen Olympia im Kreuzfeuer. Monatelang beherrschte die Frage die Medien, ob er nun für Irland oder für Großbritannien bei den Olympischen Spielen antreten sollte – eine Entscheidung, die in Nordirland auch heute noch eine gewisse Sprengkraft besitzt, wie dieser Tweet aus dem Jahr 2015 zeigt.
https://twitter.com/Nardone67/status/653271940057182208?ref_src=twsrc%5Etfw
McIlroy entschied sich für Irland (wodurch Großbritannien einen zusätzlichen Startplatz verloren hätte), aber seine Genervheit über den ganzen Trubel, den diese Entscheidung mit sich brachte, war ihm schon da anzumerken. Rückblickend hätte er vermutlich bereits damals liebend gerne seinen Verzicht auf Olympia verkündet, aber als junger Spieler kann man sich solche negative Publicity wohl noch weniger leisten. Dass McIlroy nun bei der Pressekonferenz alle politische Korrektheit über Bord warf und seine wahren Gefühle über Golf bei Olympia herausgelassen hat, ist daher ein Zeichen dafür, dass er erwachsen geworden ist. Auch wenn viele glaube er sei dumm: McIlroy war sich der Konsequenzen seiner Aussage sicher bewusst. Dass er sie dennoch getätigt hat zeigt, dass er a) reifer geworden ist und b) keine Lust mehr hat, Scharaden zu spielen. Und ist es nicht das, was wir eigentlich von Sportlern wollen?
Schließlich hat McIlroy niemals behauptet, dass er für alle spricht. Wenn Martin Kaymer in Interviews betont, dass ihm die Olympische Spiele in diesem Jahr wichtiger als Majors sind, dann ist es zwar das, was wir hören wollen. Dennoch ist es sicher die Wahrheit. Menschen sind verschieden. Sportler sind verschieden. Vermutlich hat Kaymer als kleines Kind bereits die Olympischen Spiele geguckt und die deutsche Mannschaft angefeuert. In Nordirland hingegen sind die Olympischen Spiele aus den oben beschriebenen Gründen eine schwierige Angelegenheit. Feuert man Irland oder Großbritannien an? Fiebert man mit allen Nordiren mit, egal für welches Land sie antreten? Es ist schwieriger unter diesen Umständen Olympia als das größte Sportereignis zu betrachten. Besonders für jemanden, dessen Sportart zuletzt 85 Jahre vor seiner Geburt olympisch war.
Vielleicht wird es wie Tennis nach Anlaufschwierigkeiten einmal zu einem großen Erfolg. Vielleicht wird Golf ein Desaster bei Olympia und bereits 2020 wieder aus dem Programm geschmissen. Aber wenn das passieren sollte, macht man es sich zu einfach die Schuld auf McIlroy, Day, Johnson, Spieth und die anderen Absager zu schieben. Keiner von ihnen hat gefordert, dass Golf wieder olympisch werden soll. Sie sind einfach ein billiger Sündenbock für all diejenigen, die dafür Lobbyarbeit betrieben haben ohne selber die Konsequenzen tragen zu müssen: Jack Nicklaus, Annika Sörenstam, Gary Player. Aus dem Ruhestand ist es immer leicht von anderen zu fordern, dass sie liefern sollen. Und wer den verwöhnten Golf-Millionären vorwerfen will, dass sie nur hinter dem Geld her sind, sollte vielleicht einmal überlegen aus welchem Kalkül sich gerade diese Personen so für Golf bei Olympia stark gemacht haben. Altruistische Motive? Möglicherweise. Aber Jack Nicklaus und Gary Player sind beispielsweise die meistbeschäftigen Golfplatz-Designer der Welt. Und wenn es durch die Olympischen Spiele tatsächlich einen weltweiten Golf-Boom geben sollte, sind vor allem sie es, bei denen die Kasse klingelt.
Aber niemand hinterfragt dies, weil sie in ihren öffentlichen Statements uns genau mit dem füttern, was wir hören wollen. Rory McIlroy hat dies nicht getan. Er hat den Kardinalsfehler begangen, das zu sagen, was er denkt. Das negative Echo darauf und die Art und Weise, wie man sich auf bestimmte Teilaspekte einer äußerst bemerkenswerten Pressekonferenz stürzt, beweist allerdings wieder einmal, dass wir das nicht wollen. Wir wollen von unseren Sportlern angelogen werden. Wir wollen von ihnen hören, was wir empfinden und nicht was sie empfinden. Und genau deshalb wird es auch in Zukunft immer mehr glattgespülte Einschlaf-Pressekonferenzen geben wie die von Jordan Spieth, als echte Einblicke in das Innenleben eines Athleten.