Casey Martin vs. die PGA Tour: 10 Jahre danach

532 U.S. 661 – hinter diesen obskuren Zahlen- und Buchstaben-Kombinationen verbirgt sich ein großes PR-Desaster für die PGA Tour. Denn auf Seite 661 der 532. Ausgabe der United States Reports findet sich das Urteil des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten im Fall Casey Martin gegen die PGA Tour. Vor genau zehn Jahren, vier Tage vor seinem 29. Geburtstag, bekam der Profigolfer vom Supreme Court die Erlaubnis, ein Golf-Cart während der Wettkämpfe zu benutzen. Ein hart ausgefochtener Rechtsstreit, in dem unter anderem Golf-Legenden wie Arnold Palmer und Jack Nicklaus vor Gericht aussagten, fand damit nach dreieinhalb Jahren ein Ende.

Am 26. November 1997 hatte der Kampf begonnen als Commissioner Tim Finchem das Anliegen von Martin trotz medizinischer Atteste kategorisch ablehnte. Beim Landgericht von Oregon reichte Martin Klage gegen die PGA Tour ein, um beim Finale der Qualifying School ein Cart benutzen zu dürfen. Eine interessante Situation, schließlich wurden Carts während der ersten Stufen der Q-School durchaus benutzt um die Spielgeschwindigkeit zu erhöhen, im Finale waren sie aber verboten. Per einstweiliger Verfügung verschaffte ihm Richter Thomas Coffin das Recht ein Cart zu benutzen, was die PGA Tour damit konterte, Carts für alle Teilnehmer zur Verfügung zu stellen (was u.a. Scott Verplank in Anspruch nahm). Mit Platz 46 erspielte sich Martin das Startrecht für die Nike Tour – und legte damit die Grundlage für eine weitere Runde im Rechtsstreit mit der PGA Tour.

Die Sichtweisen hätten dabei nicht unterschiedlicher sein können. Während Martin sein individuelles Recht erstreiten wollte, sorgte sich die PGA Tour um die Konsequenzen für die Gesamtheit des Sportes. Solle man jedem, der einen eingewachsenen Zehennagel hat, ein Cart gewähren, war eines der Argumente, die die Verteidigung der PGA Tour vor Gericht einbrachte. Ein erbärmlicher Einwurf wenn man die Umstände von Martins Erkrankung berücksichtigt. Seit seiner Geburt leidet er unter einer Krankheit namens Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom, eine Fehlbildung der Gefäße in seinem rechten Bein, die dazu führt, dass die Rückführung des Blutes aus seinem Bein zum Herzen behindert ist. Die Langzeit-Aussicht für Martin ist dementsprechend düster: An irgendeinem Punkt seines Lebens sei eine Amputation nicht zu verhindern, prognostizieren die Ärzte – sollte er sich das Bein brechen, sogar noch früher. Ein Umstand, der die Argumentation der PGA Tour, dass die Benutzung von Carts einen Wettkampfvorteil bringt, weil es die Erschöpfung vermindert, eigentlich ad absurdum führt. Doch die konservative Natur des Golfsports führte dazu, dass nicht die PGA Tour, sondern Martin mit Kritik und teilweise sogar Hohn und Spott überzogen wurde.

Arnold Palmer argumentierte in einer Videoaussage, dass sein eigener Vater auf die Tour hätte gehen können, wenn er bei bessere Gesundheit gewesen wäre und dass “manche Menschen einfach Pech haben. (…) Zum Sport gehöre nun mal auch die physische Fitness um konkurrieren zu können”, während Jack Nicklaus in der gleichen Verhandlung das absurde Argument in den Raum warf, dass Carts schlecht im Fernsehen aussehen würden und “den Glauben verstärken, Golf sei keine anstrengende Aktivität.” Auch Ken Venturi sprach sich für die PGA Tour aus und Scott Verplank sagte aus, er als Diabetiker fühle sich genauso behindert wie Martin. Den Vogel schoss allerdings ein Kommentar des Time Magazine ab, in dem der Autor Casey Martin voller Häme einen Lebensrat mit auf den Weg gab: “Die große Kunst des Lebens besteht nicht darin, einen Anwalt zu finden, sondern einen Sport, der zu Dir passt.”

Die Ironie des Ganzen ist, dass er das bereits getan hatte. “Ich habe als Kind versucht, andere Sportarten auszuüben. Ich liebte Basketball, aber alles was ich tun konnte war rumzustehen und werfen”, erinnerte sich Martin gegenüber USA Today. “Golf war der einzige Sport, der es mit erlaubte auf einem Level mit allen anderen zu spielen.” Alle anderen war in diesem Fall kein Geringerer als Tiger Woods. An der Universität von Stanford waren sie gemeinsam im Golfteam mit dem Martin (mit Notah Begay aber noch ohne Woods) 1994 den College-Titel gewann. Woods, der als Zimmerkollege mit ansehen musste, wie Martin vor Schmerzen kaum ins Bad gehen konnte, hatte seine Loyalität daher auf Seiten des Klägers – auch wenn er gestand, bei ihm seien natürlich Gefühle involviert. Doch es schien, als würde der Fall Casey Martin einen Rissen durch die Spieler der PGA Tour ziehen, dessen Seite anscheinend eine Altersfrage war. Während die ältere Generation strikt gegen Martin war, zeigten die jüngeren eher Verständnis. “Nur weil jemand mit dem Cart fährt, wird er nicht automatisch ein besseres Ergebnis erzielen als ich”, schlug sich beispielsweise Phil Mickelson auf Martins Seite.

Sämtliche Gerichte teilten diese Meinung. Mit Berufung auf den “Americans with Disabilities Act” gab erst das Gericht von Oregon, im März 2000 das Berufungsgericht in San Francisco und schließlich auch der Supreme Court mit 7:2 Richterstimmen am 29. Mai 2001 Martin Recht. In der Zwischenzeit hatte Martin mit der Lakeland Classic sein erstes Turnier auf der Nike Tour gewonnen, sich für die U.S. Open 1998 qualifiziert, dort den 23. Platz belegt und 1999 als 14. der Nike-Tour-Rangliste sich die Spielberechtigung für die PGA Tour gesichert. Doch nach der Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof fand Martin nie wieder zu seiner Form zurück.

Heute, zehn Jahre später, ist er Trainer des Golfteams der Universität von Oregon. Die PGA Tour, die mit dem Urteil eine Welle von Cart-Anträgen befürchtete, musste seither nicht wieder einen Spieler mit Cart zulassen. Auch weil das Urteil kein Generelles war, sondern eine individuelle Betrachtung des Falles verlangt. Wer wie Martin ein Cart benutzen will, müsste sich vermutlich auch heute noch seinen Weg durch die Instanzen klagen. Das Gegenargument, dass Laufen zum Golf gehören würde, könnte die PGA Tour dann allerdings wohl nicht mehr ins Weg führen. Denn in seiner Urteilsbegründung sah der Supreme Court den Laufaspekt nicht als integralen Teil des Golfsports. Ironischerweise bedingt durch das Verhalten der PGA Tour, die bei diversen Anlässen Carts zulässt. Sei es wenn ein Spieler einen Ball verloren hat und zum Tee zurück muss, das Playoff begonnen wird, die Wege zwischen einigen Löchern zu weit sind oder die Profis alt werden: Auf der Champions Tour sind Carts erlaubt. Ein Umstand, den die PGA Tour während der Gerichtsverhandlung mit dem Argument relativieren wollte, dass die Champions Tour ja eher eine zweitklassige, nostalgisch geprägte Veranstaltung zur Unterhaltung bewundernder Fans sei. Dass in all diesen Fällen die Carts allen Spielern gleichermaßen zugänglich sind spielte für das Urteil keine Rolle. Schließlich hat der Supreme Court der PGA Tour ja nicht verboten allen Spielern Carts zu stellen.

Am Ende konnten sich dennoch alle Beteiligten als Sieger fühlen. Casey Martin, weil er das Cart benutzen durfte, und Tim Finchem, weil er nicht 160 Carts für jedes Turnier kaufen musste. Eine würdevolle Figur hat der Commissioner dabei jedoch nicht abgegeben. Dass er gerade die Gleichberechtigung aller Spieler als Argument gegen Casey Martin ins Feld führte, entbehrt nämlich nicht einer gewissen Ironie. Bis 1990 veranstaltete die PGA Tour noch Turniere in Clubs, die keine Frauen oder schwarze Mitglieder tolerierten. Sogar die PGA of America, von der sich die PGA Tour später ausgliederte, nahm bis 1961 keine schwarzen Profis in ihren Reihen auf. Der Fall Casey Martin vs. die PGA Tour war also weniger ein Kampf um Gleichberechtigung als einer um Statussicherung für den sich leider Größen wie Arnold Palmer und Jack Nicklaus einspannen ließen – ein Umstand, den sie vielleicht bereuen, wenn zum zehnjährigen Jahrestag die Geschichte wieder aufgerollt wird. Wie beispielsweise für die ESPN-Reportagereihe Outside the Lines, die Casey Martin an seinem College besuchte und sogar die originalen Video-Aussagen der Golf-Legenden ausgrub.

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