In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die European Tour ab 2013 den Ryder Cup, den Presidents Cup und die Seve Trophy als offizielle Starts für ihre Mitglieder zählen will. Kombiniert mit der Meldung, dass Tiger Woods aufgrund dieser Änderungen überlegt, erstmals die Mitgliedschaft auf der European Tour anzunehmen, feierten Medien wie die FAZ die Maßnahme als großen Coup. Dabei könnte sich diese geplante Änderung in Wirklichkeit zum folgenschweren Bumerang für ihren Chef George O’Grady entwickeln.
Das Best-Case-Scenario für die European Tour ist, dass sich Tiger Woods tatsächlich für die Mitgliedschaft entscheidet. Doch was genau wäre der Vorteil? Schaut man sich den Turnierkalender von Woods aus dem Jahr 2012 an, hat er die vier Majors gespielt, drei WGC-Turniere, den Ryder Cup und die Abu Dhabi Championship. Damit wären bereits neun der 13 Starts für ihn gesichert. Im kommenden Jahr findet darüber hinaus erstmals die Turkish Open an, die aufgrund des anscheinend bevorstehenden Sponsorings durch eine türkische Airline ebenfalls zum Pflichttermin für Woods werden würde. Hinzu kommt ab 2013 mit dem Tournament of Hope ein weiteres hochdotiertes WGC-Turnier, das vermutlich auch den Weltranglistenzweiten anlocken könnte. Summasummarum bräuchte Tiger Woods damit nur zwei “außerplanmäßige” Starts auf der European Tour um seine Mitgliedschaftskriterien erfüllen zu können. Das Erste? Aller Wahrscheinlichkeit nach das mit einem Bonuspool lockende Finale um das Race to Dubai. Und der zweite Start ginge dann schließlich an den Höchstbietenden, was vermutlich auf ein Turnier in Asien oder im Nahen Osten hinauslaufen würde.
Abgesehen von Woods wird es auch kaum zu einer Völkerwanderung der amerikanischen Profis auf die European Tour kommen. Warum auch? Der sportliche Wert in Form von Weltranglistenpunkten ist gering und selbst für einen Sieg bei der Reno Tahoe Open gibt es noch mehr Kohle als für 28 der 37 European-Tour-Events. Gegen die in den USA müde belächelte John Deere Classic können sogar nur noch fünf Turniere anstinken: die BMW PGA Championship, die Dunhill Links Championship, das BMW Masters, die Singapore Open und das Race-to-Dubai-Finale. Der finanzielle Reiz eines Starts auf der European Tour entsteht nur durch die versteckt (und nicht wie die FAZ behauptet offiziell) gezahlten Antrittsgelder, doch die können nur eine Handvoll Top-Stars in Anspruch nehmen. Der mögliche Gewinn für die European Tour hält sich also in Grenzen, der Verlust hingegen könnte fatal werden.
Bereits jetzt gibt es unter den Top 50 der Welt nur noch acht reine European-Tour-Mitglieder – einer von ihnen, Nicolas Colsaerts, hat bereits angekündigt im kommenden Jahr sein Glück auf der PGA Tour zu versuchen. Und Martin Kaymer überlegt wie jedes Jahr, ob er nicht auch den nächsten Schritt in seiner Karriere wagen sollte. Eine Gretchenfrage, die ihm durch die Regeländerung der European Tour erleichtert werden könnte. Zwar steht 2013 die Seve Trophy auf dem Programm, die Kaymer schon immer mit Verachtung gestraft hat. Aber in Ryder-Cup-Jahren könnte den besten Europäern der Schritt in die USA vereinfacht werden. Um beide Mitgliedschaften zu kombinieren müsste Kaymer nur die vier Majors, vier WGCs, das Race-to-Dubai-Finale und den Desert Swing spielen. Als Goodwill kämen dann noch die BMW Open und vielleicht noch 2-3 Lieblingsturniere wie die Open de France oder die Dunhill Links Championship hinzu. Den Rest der Saison könnte er dann in den USA verbringen – ein Verlust für die European Tour von 5-6 Turnieren pro Jahr.
Hinzu kommt, dass man Ryder-Cup-Spieler mit Doppelmitgliedschaften geradezu einlädt, einen Termin aus ihrem europäischen Kalender zu streichen – am Beispiel dieses Jahres wären dies sieben Spieler, denen man einen Pflichtstart auf der European Tour erlässt. Die Folgen zeigen sich bereits jetzt: Rory McIlroy verkündete im kommenen Jahr seinen Spielplan auf maximal 23 Starts reduzieren zu wollen. Da der Nordire seinen Lebensmittelpunkt in die USA verlagert, muss man kein Prophet sein um vorherzusagen, dass dies in erster Linie auf Kosten des europäischen Turnierzirkus gehen wird.
Bedenkt man, dass die European Tour in diesem Jahr bereits den Ausfall von drei Turnieren in Spanien verkraften muss, ist dies eine Entwicklung die jedem Fan von europäischen Turnieren den Angstschweiß ins Gesicht treiben muss. Denn wenn man es den Spielern noch erleichtert auf die PGA Tour zu wechseln, könnten wirklich alle europäischen Asse in Zukunft um den Fed-Ex-Cup konkurrieren und die European Tour würde zur Zeit der Playoffs verwaisen. Ob die Johnnie Walker Championship, das European Masters, die KLM Open und die Italian Open, die parallel zu den Playoffs stattfinden, ohne einen einzigen Top-Star auf Dauer noch Sponsorenunterstützung finden werden, muss man ernsthaft bezweifeln.
Natürlich ist die Zukunft der European Tour nicht in Gefahr, aber sie könnte durchaus ihre Namensberechtigung verlieren. Denn wenn immer weniger Stars der Tour treu bleiben, wird sich ganz schnell eine Zweiklassen-Gesellschaft entwickeln. Die Leidtragenden sind wir Europäer. Schon jetzt verlagert sich der Turnierkalender immer mehr außerhalb des Mutterkontinents. Von den 45 Turnieren, die 2012 auf dem Kalender stehen, finden 24 in Asien, Afrika oder den USA statt – die European Tour ist also bereits jetzt nur noch zu 47% europäisch. Wenn nun mehr Europäer verleitet werden eine Zweitmitgliedschaft auf der PGA Tour anzunehmen, wo werden sie ihre wenigen Pflichtstarts dann noch wahrnehmen? In erster Linie natürlich während des Desert Swings, wo zeitgleich auf der PGA Tour unattraktive Turniere stattfinden und die Scheichs viel Geld locker machen. Nicht für das Preisgeld, das eher moderat ausfällt, sondern als indirekte Spende an die Tiger Woods und Rory McIlroys dieser Welt. Durch diese erhalten die Turniere dann mehr Weltranglistenpunkte wodurch auch wieder andere Spitzenspieler angelockt werden. Ein ähnlicher Effekt tritt noch einmal zum Saisonende ein wenn die FedEx-Cup-Playoffs vorbei sind und die European Tour nach Asien zieht. Die ersten Turniere auf der Streichliste dürften daher Mitte der Saison liegen – zu der Zeit wo die European Tour ihren Heimatkontinent besucht. Sinkende Qualität der Felder dort bedeutet sinkendes Zuschauerinteresse und damit auch sinkendes Sponsoreninteresse. Die seit Jahren andauernde Verschiebung in andere Länder dürfte also noch eher forciert werden.
Ein großes Problem für die European Tour ist dabei, dass sie keine Handhabe über ihre Spieler hat wie die PGA Tour. Wenn dort ein in den USA geborenes Mitglied außertourliche Aktivitäten pflegt, braucht er eine Freigabe von Commissioner Tim Finchem. Beispielsweise durften sich Tiger Woods und Co. beim Turkish Airlines World Golf Final nur die Tasche vollstopfen, weil sie sich als Gegenleistung verpflichteten innerhalb der nächsten drei Jahre mindestens einmal bei der frys.com Open teilzunehmen. Ähnliche Deals, die strukturell benachteiligten Turnieren unter die Arme greifen, sind von der European Tour nicht bekannt.
Und auch in einem anderen Punkt macht es die PGA Tour den Europäern in Zukunft nicht gerade leichter: ab kommendem Jahr endet die Saison nicht nur mit den FedEx-Cup-Playoffs, sie leitet auch die neue ein. Denn die Shriners Open ist 2013 nicht mehr Teil der unbeachteten Fall Series, sie eröffnet die neue FedEx-Cup-Saison und ist für die Spieler damit die erste Chance sich eine gute Ausgangsposition für 2014 zu verschaffen. Daher wird es im Herbst für die Dunhill Links Championship oder die asiatischen Turniere auch wieder schwieriger, Spieler aus den USA für ihr Feld zu akquirieren.
All diese Dinge hätten der European Tour ohnehin das Leben schwerer gemacht. Doch mit ihrer avisierten Veränderung der Mitglieds-Kriterien hat sie sich selber noch einmal weiter ins Hintertreffen gebracht. Doch dafür hat George O’Grady mit seinem Vorschlag vielleicht das geschaffen, was Greg Norman in den 90ern vergeblich versuchte: eine World Tour. Indem die Stars weniger Anforderungen erfüllen müssen um eine Mitgliedschaft zu halten, können sie beide großen Touren spielen und damit einen nahezu identischen Spielkalender ausüben: Desert Swing im Winter – USA bis Mitte Mai – nach eigenem Geschmack Europa und/oder USA bis zur Open – USA bis zu den FedEx-Cup-Playoffs und schließlich Asia Swing und Race to Dubai. Alles was dazwischen auf der European Tour stattfindet, läuft Gefahr zu einer Art zweitklassiger Qualifikations-Tour für die World Tour zu degenerieren mit den entsprechenden Folgen für die Preisgelder und Teilnehmerfelder. Insofern könnte die Maßnahme der European Tour tatsächlich ein Coup sein – und zwar einer, der O’Grady stürzt.