Heute in 100 Tagen beginnen die Olympischen Golfwettbewerbe in Rio. Doch bereits jetzt zittern die Verantwortlichen, dass es womöglich nicht der erhoffte Triumph wird. Dazu haben in den letzten Wochen vier Spieler beigetragen, die eigentlich für die Olympischen Spiele fest qualifiziert waren, aber jetzt NOlympia gesagt haben. Den Anfang machte am 12. April Vijay Singh. Der einzige Spieler von den Fiji-Inseln mit einer Chance auf einen Olympia-Start ließ seinen Verband wissen, dass er nicht zur Verfügung steht. Seine Begründung gegenüber dem Golf Channel: “Es liegt am Timing. Ich muss mich hier konzentrieren. Ich würde gerne an den Olympischen Spielen teilnehmen, aber der Zika Virus und all der Mist.”
Nun ist der aktuell 222. der Weltrangliste nicht gerade der größte Verlust für das Turnier, auch wenn er mehrfacher Major-Sieger ist. Viel schlimmer wog da acht Tage später der erwartete Rückzug von Adam Scott. Der Australier steht schon seit langem dem Olympischen Wettbewerb kritisch gegenüber und siedelt dessen Bedeutung weit unter den vier Majors an. Eine Entscheidung, die bei Landsfrau und Ex-Schwimm-Olympiasiegerin Dawn Fraser auf Unverständnis traf.
Zwar sollte man Dawn Fraser spätestens seit ihrer rassistischen Äußerungen gegenüber eingewanderten Tennisspielern nicht sonderlich Ernst nehmen, aber auch Jack Nicklaus und Gary Player kritisierten Scotts Entscheidung als schädlich für den Golfsport. Ihr Zorn war kaum verflogen, als einen Tag später auch Louis Oosthuizen seinen Rückzug bekannt gab – unmittelbar gefolgt von Landsmann Charl Schwartzel, so dass plötzlich Jaco Van Zyl vom Olympischen Gold träumen kann.
Nach den vier Absagen hagelte es Kritik. Denn ob Golf auch im Jahr 2020 noch auf dem olympischen Programm stehen wird, entscheidet das IOC erst 2017, wenn es die erste Austragung Revue passieren lässt. Die Sorge: wenn Spitzenspieler dem Turnier die kalte Schulter zeigen, könnte das IOC dies als Beleg dafür nehmen, dass der Sport besser wieder aus der Rotation geworfen wird. Doch diese Sorge dürfte unbegründet sein. Denn 1988 wurde auf ebenso kontroverse Art und Weise Tennis in das olympische Programm aufgenommen. Und die Reaktionen der Sportler waren exakt gleich. “Für mich ist Tennis kein echter Olympischer Sport”, erklärte beispielsweise die Weltranglisten-Zweite Martina Navratoliva im Stil von Adam Scott, als sie ihren Verzicht bekannt gab. “Die Olympischen Spiele helfen meiner Platzierung nicht. Es ist wichtiger für mich, wieder Nummer 1 zu werden.”
Noch schlimmer sah es bei den Herren aus. Ivan Lendl durfte nicht starten, weil sein Einbürgerungsprozess in den USA noch nicht abgeschlossen war. Boris Becker und Mats Wilander zogen offiziell mit Verletzungen zurück. Aber auch viele andere Spitzenspieler waren nicht bereit, in Seoul anzutreten. Nimmt man das Grand Prix Ranking vom Ende des Jahres 1988, nahmen von den 20 besten männlichen Tennisspielern gerade einmal sieben an Olympia teil. Zu den prominenten Absagen gehörten Andre Agassi, John McEnroe, Jimmy Connors, Yannick Noah, Thomas Muster, Emilio Sanchez und Pat Cash. Dagegen sind die (bisher bekannten) Absagen im Golf ein Tropfen auf den heißen Stein. Und Tennis ist dennoch bis heute ununterbrochen Teil des olympischen Programms.
Kritik ist dennoch angebracht. Allerdings nicht an den vier Sportlern, denn diese Absagen finden nicht in einem Vakuum statt. Sie sind Resultat eines Versagens der Profitouren, der Golf-Funktionäre und der Veranstalter. Hinzu kam ein äußerst unglückliches Timing. Denn dass plötzlich das Zika-Virus auftauchen würde, konnte niemand ahnen. Gerade für Golfer ist dieses Virus eine Gefahr, schließlich wird es von Mücken übertragen und der olympische Golfplatz hat einige stehende Gewässer, die Mücken unheilvoll anziehen. Das Problem ist, das niemand genau abschätzen kann, wie groß die Gefahr ist. Einige Golf-Journalisten lassen die Ausrede Zika-Virus auf jeden Fall nicht durchgehen. So schreibt beispielsweise Götz Schmiedehausen in seiner Kolumne in der aktuellen “Golf Time”, dass “Vijay Singh die Angst vor dem Zika-Virus vorgeschoben hat, der vor allem für schwangere Frauen ein Gesundheitsrisiko darstellt.”
Damit ist Schmiedehausen leider auf dem veralteten Stand vom Ausbruch der Epidemie, als genau diese Gefahrengruppe in den Schlagzeilen skizziert wurde. Wobei ganz genau genommen nicht schwangere Frauen das Risiko tragen, sondern ihre Babys, die im Bauch der Mutter infiziert werden und Gefahr laufen, mit Mikrozephalie geboren zu werden. Doch auch für Männer ist das Zika-Virus gefährlich. Denn es gibt Fälle, in denen es durch Sex übertragen wurde. Und Forschern ist es gelungen, noch Monate nach einer Infektion Zika-Viren im Samen von Männern nachzuweisen. Aus diesem Grund warnen die Centers for Disease Control and Prevention explizit, dass Männer ihre schwangeren Frauen auf diese Weise mit dem Zika-Virus infizieren können und dass sie – falls sie Fortpflanzungspläne haben – nach einer Infektion mindestens sechs Monate warten sollen. Wie Geoff Shackelford in seinem Podcast Shack House sagte, wurde ihm aus verlässlicher Quelle zugetragen, dass dies bei Louis Oosthuizen und Charl Schwartzel der Fall sein soll. Eine Absage ist in diesem Fall also mehr als verständlich.
Es gibt allerdings auch hausgemachte Probleme. Da wäre zum Einen die Doping-Problematik. Insbesondere die PGA Tour um Tim Finchem ist in den letzten Jahren bei diesem Thema vorgegangen wie die drei sprichwörtlichen Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Vor allem die im Grunde genommen vollkommene Abwesenheit von Kontrollen außerhalb der Wettkämpfe ist ein Armutszeugnis. Das Pikante an der Sache: Ab dem 6. Mai fallen potenzielle Olympia-Teilnehmer in den Zuständigkeitsbereich der WADA und können damit rechnen, deutlich härter und sorgfältiger auf Doping kontrolliert zu werden. Mit ein Grund, warum die Absage von Vijay “Deer Antler Spray” Singh mit Argwohn aufgenommen wurde. Aber es geht gar nicht einmal darum, dass womöglich im Golf aktiv gedopt wird. Weil die letzten Jahre nicht vernünftig getestet wurde und sie mit dem Prozedere nicht vertraut sind, könnte bei vielen Athleten eine Unsicherheit herrschen, ob sie womöglich positiv getestet werden. Und wer will schon im Zenit seiner Karriere eine zweijährige Sperre absitzen? Hätte Finchem früher schon mehr Tests eingesetzt, gäbe es diese Unsicherheit nicht.
Zudem ist der Modus natürlich nicht gerade dazu angetan, die Spieler anzulocken: Ein handelsübliches Zählspiel über vier Runden mit einem 60er-Spielerfeld, das bei den Herren aktuell gerade einmal 28 der Top 60 der Welt beinhaltet. Würde es für das olympische Turnier Weltranglistenpunkte geben, hätte es aktuelle 439 Stärkepunkte. Oder mit anderen Worten: es wäre etwas schwächer besetzt als die Northern Trust Open. Rein sportlich gesehen ist es also durchaus legitim, den Wert der Veranstaltung in Frage zu stellen. Dass das IOC und die International Golf Federation nicht in der Lage waren, mit einem Matchplay-Element aus der Monotonie auszubrechen, ist fragwürdig. Dass sie es nicht geschafft haben, ein Team-Element einzubringen, ist unverzeihlich. Denn welcher Sport eignet sich denn besser für ein Mixed-Event als Golf? Sei es, indem man die Ergebnisse von Damen und Herren zusammenzählt oder sie sogar ganz revolutionär einen klassischen Vierer spielen lässt.
Was würden sich dort auf einmal für Favoriten ergeben? Plötzlich wäre Neuseeland mit Lydia Ko und Danny Lee ein Gold-Kandidat. Oder Südkorea mit Inbee Park und Byeong Hun An. Australien könnte Jason Day und Minjee Lee dagegen setzen und die USA Lexi Thompson mit Jordan Spieth. Und vielleicht könnte sogar Rory McIlroy die Unbekannte Leona Maguire zur Medaille ziehen oder Brooke Henderson ihren kanadischen Landsmann Graeme DeLaet. All das wird es nicht geben. Stattdessen finden an 9 der 17 Tage keine Wettkämpfe auf dem olympischen Golfplatz statt und der Schlusstag der Herren fällt auf den gleichen Tag wie das Tennis-Finale der Herren, der Marathon der Frauen und die 100 Meter der Männer. Drei über den Tag verteilte, stundenlang aufgebauschte Prestige-Events, die Golf in den Schatten verdrängen werden.
Das wahre Trauerspiel ist allerdings, dass die Öffentlichkeit und die Golf-Oberen von den Spielern erwarten, dass sie dem Olympia-Turnier vieles, wenn nicht alles unterzuordnen – sie selbst aber nicht einmal zu ein wenig Flexibilität in der Lage sind. Da wäre zum Einen das Problem der PGA Championship. Weil der Termin für das letzte Major des Jahres mit Olympia kollidierte, musste man es verlegen. Kein Problem könnte man meinen, das Jahr hat schließlich 12 Monate. Doch statt den Kalender zu entzerren und die PGA Championship ausnahmsweise einmal in den Februar/März oder den Spätsommer/Frühherbst zu legen, entschloss man sich, sie auf Ende Juli vorzuziehen. Mit dem Resultat, dass in einem Zeitraum von neun Wochen plötzlich drei Majors, die Olympischen Spiele und eine World Golf Championship stattfinden.
Apropos World Golf Championship. Um das Bridgestone Invitational hat sich dann auch gleich ein Schwanzvergleich der zwei großen Touren entwickelt. Denn die International Golf Federation verlegte das Turnier auf Ende Juni und damit auf Kollisionskurs mit der Open de France. Kurzerhand erklärte Keith Pelley das WGC wird in diesem Jahr nicht von der European Tour sanktioniert und lockte seine Spieler damit, dass sie mit einem Start bei der Open de France gleich zwei Pflichtstarts für die European Tour abhaken können. Am Ende gibt es somit nur Verlierer: die PGA Tour, weil das Bridgestone Invitational auf Stars wie Rory McIlroy verzichten muss. Und die European Tour, weil sie damit ihren Top-Stars einen Freibrief erteilt hat, diese Saison noch ein reguläres Turnier weniger als üblich zu spielen.
Die Krönung des ganzen Terminchaos lieferte aber natürlich wieder einmal Tim Finchem. Obwohl das Olympische Turnier von allen Touren unterstützt wird, setzte die PGA Tour mit der John Deere Classic ein Turnier gegen den Herren-Wettbewerb. Und nicht nur irgendeines: Denn es ist das vorletzte Turnier, bei dem sich Spieler noch für die FedEx-Cup-Playoffs qualifizieren können und – noch wichtiger – um ihre Tourkarte für die kommende Saison kämpfen können. Etwas was aktuell beispielsweise Camilo Villegas oder Brendon de Jonge beträfe. Und wenn jemand sich dazwischen entscheiden muss, sein Land bei Olympia zu vertreten oder die finanzielle Zukunft für sich und seine Familie zu sichern, dann kann das Gold noch so schön glänzen wie es will. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Golf wirklich ein einmaliges Gastspiel bei den Olympischen Spielen geben wird, sollte man daher nicht mit dem Finger auf Scott, Oosthuizen, Singh und Schwartzel zeigen, sondern vielmehr diejenigen hinterfragen, die erst intensive Lobbyarbeit geleistet haben, damit Golf zu Olympia kommt – und dann dem möglichen Erfolg ganze Hinkelsteine in den Weg gelegt haben.